Eine Reise ins Burgenland
In den Fußspuren einer alten und einer jungen Seele
Lieke Schwaiger-Dijkstra
Das Thema alte und junge Seelen spielt im Leben von mir und meinem Mann eine wichtige Rolle. Wir sind uns schon seit einiger Zeit bewusst, dass wir eine alte und eine junge Seele sind. Und wie es oft geschieht, wenn man sich von etwas bewußt wird, sucht man nach mehr Wissen und Erkenntnissen.
Im Gilgamesch-Epos fanden wir die Geschichte einer innigen Freundschaft zwischen einer alten und einer jungen Seele, Gilgamesch und Enkidu. Rudolf Steiner hat mehrfach über dieses Epos berichtet. Diese außergewöhnliche Freundschaft zwischen Gilgamesch und Enkidu hat uns sehr berührt.
Sie inspirierte uns um einander und die Menschen um uns herum mit (noch) mehr Verständnis entgegen zu kommen.
Wir beschlossen eine Reise ins Burgenland zu unternehmen (ein Bundesland im Südosten Österreichs, an der ungarischen und slowakischen Grenze), weil
diese beiden Seelen in dieser Gegend eine wichtige Einweihung und Bewusstseinsentwicklung durchgemacht haben.
Von diesen alten und jungen Seelen hörten wir zum ersten Mal, während einer der Vorträge von Hans Stolp. *
Er erzählte, dass diese beiden karmischen Gruppen ihren Ursprung in Lemurien haben. Die alten Seelen waren seit der Schöpfung in der lemurischen Zeit auf Erden. Dadurch sind sie tief in Ihrem Wesen mit der Weisheit der Erde verbunden. Die jungen Seelen hielten sich länger in der Planetensphäre auf, wie auf Venus, Merkur, der Sonne usw. Sie kamen erst später auf die Erde und in ihrem Wesen liegt eine tiefe Verbindung mit dem Kosmos.1
Aufgrund ihrer unterschiedlichen Entwicklung sind alte und junge Seelen andersgeartet. Dies führt verständlicherweise zu mancherlei Schwierigkeiten. Diese Unterschiede machen sich bis zur heutigen Zeit in menschlichen Beziehungen bemerkbar. (Hier sprechen wir gewiss auch aus eigener Erfahrung!)
Aber darüber hinaus haben wir noch etwas anderes erlebt:
Wenn wir ein Gespür für die geistige Qualitäten des Anderen bekommen, geschieht etwas Besonderes.
Die irdische Weisheit (der alten Seele) und die kosmische Weisheit (der jungen Seele) können sich zu einer neuen, schöpferischen, kreativen Kraft verbinden. Wenn wir den neuen Mysterienweg (den modernen Einweihungsweg) betreten, wird uns dieses Geheimnis allmählich enthüllt und anvertraut.
Das Gilgamesch-Epos
Das Thema der alten und jungen Seelen wurde schon früh in der Geschichte erwähnt und begann bereits mit dem Gilgamesch-Epos. Dieses Epos ist 5.000 Jahre alt und gehört zu den ältesten Überlieferungen der Menschheitsgeschichte. Es ereignete sich im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris und ist - in Stein gemeißelt (Keilschrift) - erhalten geblieben. Sie erzählt, in imaginativen Bildern die Abenteuer von Gilgamesch und Enkidu.
Diese außergewöhnliche Geschichte haben wir durch Sergej O. Prokofieff kennengelernt.2 Über den tiefen Hintergrund dieser Imaginationen schrieb er in seinem Buch: Rudolf Steiner, Fragment einer spirituellen Biografie.
Die Mission von Gilgamesch und Enkidu
Das Epos erzählt von der ersten Inkarnation einer besonders reinen Seele auf der Erde. Einer Seele, die seit Anbeginn der Menschheit (Adam und Eva) lange Zeit im Kosmos verweilte und sich dort einen großen Schatz an kosmischem Wissen aneignete.
Diese kosmisch bewusste und außerordentlich reine Seele (noch ohne irdisches Karma) wurde von Erzengel Michael auf die Erde geführt, um zusammen mit einer sehr weit entwickelten Erdenseele ein neues Zeitalter, eine neue Bewusstseinsphase einzuleiten.
Diese kosmische junge Seele, Enkidu, war derjenige, den wir heute als Rudolf Steiner kennen. Die alte Seele wurde Gilgamesch genannt und ist uns als Rudolf Steiners Weggefährtin Ita Wegman bekannt.
Dies war der erste Anfang einer Reihe von Leben, in denen sie gemeinsam auf der Erde inkarnierten, mit der Aufgabe, neue Entwicklungen vorzubereiten. Darüber hinaus war es auch der Beginn einer innigen, immerwährenden Freundschaft.
Die Erkenntnisse, die wir aus der Zusammenarbeit zwischen Gilgamesch und Enkidu entnehmen können, lassen sich wie folgt beschreiben:
- Mit den geistigen Qualitäten, die wir in uns tragen, unterstützen wir uns gegenseitig auf dem Weg des
Bewusstwerdens.
- Die alte Seele stärkt die Michaels-Kräfte der jungen Seele und hilft ihr, ihren Weg auf der Erde zu finden.
- Die junge Seele hilft der alten Seele, sich von alten karmischen Lasten zu befreien um seine irdische Weisheit zum Ausdruck bringen zu können.
- Je mehr wir uns der geistigen Qualitäten des anderen Menschen bewusstwerden, desto kraftvoller können wir Luzifer und Ahriman widerstehen.
- Und schließlich:
Eine wahrhaftige und aufrichtige Zusammenarbeit zwischen alten und jungen Seelen schmiedet geistige Verbindungen, die wesentlich wichtiger werden als die irdische Familienzugehörigkeit. Geistige Verbindungen sind unzertrennlich und werden für immer fortbestehen.
Das Ende des Epos
Am Ende des Epos wird beschrieben, dass Enkidu stirbt und Gilgamesch, tief betroffen vom Verlust seines Freundes in die Welt hinauszieht, auf der Suche nach Unsterblichkeit. Von der geistigen Welt aus führt Enkidu seinen geliebten Freund zu einer alten Mysterien-stätte, wo er eine Einweihung erhält.
Bei dieser Einweihung wird Gilgamesch in die Lage versetzt, zum Ursprung des Lebens zurückzublicken und er lernt dadurch verstehen, woher die Unsterblichkeit kommt: Aus der Welt der Götter, der geistigen Welt.3
Heute, 5.000 Jahre später, sind diese uralte Mysterienweisheiten über unseren göttlichen Ursprung durch das umfangreiche Werk Rudolf Steiners für alle Menschen zugänglich.
Dank seiner Bücher können wir nun selbst die alten Mysterien studieren und auf unseren Ursprung zurückblicken. Nur dann ist es möglich, den Weg in die Zukunft, den neuen Mysterien-weg zu finden.
Die Mysterienstätte, an dem Gilgamesch seine Einweihung erhielt, befindet sich im Burgenland. (Ita Wegman hat uns in ihrem Buch; An die Freunde, darauf hingewiesen.)
Als wir dort waren, konnten wir gut verstehen, warum Rudolf Steiner gerade hier, in der beeindruckenden Natur des Burgenlandes mit seinen besonderen geistigen Energien und seiner esoterischen Geschichte, seine Jugend verbrachte.
Das Jahr 1925
Im Jahr 1925 scheint es, als würde sich die alte Geschichte von Gilgamesch und Enkidu wiederholen. Rudolf Steiner stirbt und Ita Wegman reist tief betrübt ins Burgenland, um neue Lebenskräfte zu gewinnen. Sie braucht diese Impulse, um die mit Rudolf Steiner begonnene Arbeit - die Entwicklung einer neuen Heilmethode auf der Basis eines alten Mysterienwissen – die heute weltweit bekannte anthroposophische Heilmethode – selbständig fortsetzen zu können.
Sie besuchte in Burgenland die Orte, an denen Rudolf Steiner seine Kindheit
verbrachte und auch die alte Mysterienstätte, von der sie intuitiv fühlte, dass diese sowohl mit ihr als auch mit Rudolf Steiner zu tun hatte.
Ins Burgenland, September 2023
Dank der Wegbeschreibung von Ita Wegman konnten wir diese alte Mysterien Stätte finden. Es ist ein kleiner Berg namens Herzberg in der Nähe der Ortschaft Redlschlag. Ein fast unauffindbarer schmaler Pfad führte uns auf den Gipfel, wo wir alte Steinkreise fanden. Nur die Spitzen der ursprünglich großen Steine waren noch sichtbar.
Die besondere Kraft dieses Berges ist auf die vielen Kupfer- und Antimonerzgänge zurückzuführen, die hier die Erde durchziehen.
Kupfer wurde zu Beginn der Erdenentwicklung als Geschenk der Venus in die Erde gelegt und birgt Erinnerungen an unseren Ursprung in sich.
Antimonerz hat die Eigenschaft, negative Kräfte zu neutralisieren. Beide Erze haben aufgrund ihrer besonderen geistigen Qualitäten eine starke Verbindung zum Kosmos.
Ita Wegman wies uns auch darauf hin, dass die Christus- und Michael-Strömungen der Tempelritter und Rosenkreuzer in diesem Gebiet zu finden sind.
Dies ließ uns verstehen, dass hier eine starke Verbindung nicht nur zwischen Himmel und Erde, sondern auch zwischen dem Osten (den Tempelrittern) und dem Westen (den Rosenkreuzern) besteht.
Es berührte uns zutiefst, um als alte und junge Seele gemeinsam zwischen den uralten steinernen Überresten zu sitzen. Dort wo einst Gilgamesch bei seiner Einweihung auf den Ursprung des Lebens zurückblicken durfte. Was wir hier innerlich erlebten, wird uns wohl erst nach längerer Zeit bewusst werden.
Der Blick auf den Herzberg (ebenfalls ausführlich beschrieben von Ita Wegman 4) ist immer noch atemberaubend schön und von unermesslicher Weite.
Ohne einen einzigen Menschen zu treffen, waren wir mehrmals auf dem Herzberg. So konnten wir die alte Mysterienstimmung in aller Ruhe auf uns einwirken lassen.
Wir besuchten auch die Bahnhöfe von Pottschach und Neudörfl, in Niederösterreich, die Ortschaften, in denen Rudolf Steiner mit seinen Eltern lebte. Schöne Gedenksteine zieren beide Gebäude. In Pottschach fanden wir noch ein Stück ursprüngliche Natur, so wie es früher ausgesehen haben muss.
In Neudörfl wurden wir zu einem Café in der Nähe geführt. Dort kam aus einem Hinterzimmer ein wunderschönes Gedenkbuch für Rudolf Steiner zum Vorschein. Es war bewegend, all diese Texte voller Ehrfurcht für diesen besonderen Menschen zu lesen und unsere eigenen Namen hinzufügen zu dürfen.
Alte Erinnerungen werden geweckt
Durch unsere Reise haben wir gespürt wie auch in uns alte Erinnerungen wach wurden, und konnten Folgendes besser nachvollziehen:
Im Jahr 1922 brannte das alte Goetheanum ab. Der Schock dieses einschneidenden Ereignisses weckte in Ita Wegman die Erinnerung an ein Ereignis aus einer fernen Vergangenheit. Es war der Brand, bei dem die alte Mysterien-schule in Ephesus in Flammen aufging. Ein Ereignis, das sie, wie den Brand am Goetheanum, gemeinsam mit Rudolf Steiner durchlebte. Dieses Erwachen ermöglichte Rudolf Steiner, ihr mehr über die gemeinsamen Inkarnationen zu erzählen. Er sprach dabei auch über die Aufgaben, die sie gemeinsam für die Menschheit zu erfüllen hatten.5
Im Burgenland kamen wir auch zur folgenden Einsicht: Als sich Ita Wegmans alte Seele für ihre karmische Vergangenheit öffnete, wusste Rudolf Steiner, dass die Menschen um ihn herum nun reif waren, ein tieferes Wissen über Karma und Reinkarnation aufzunehmen. Dies ermöglichte ihm im Jahre1924 seine beeindruckende Vortragsreihe über Karma und Reinkarnation zu halten.
Wir besiegelten unsere Reise mit einem Besuch in Arlesheim (in der Nähe des Goetheanum in Dornach), mit einer Führung durch das Ita Wegman Archiv.
Das Archiv befindet sich in einem wunderschönen Holzhaus, das Rudolf Steiner für Ita Wegman entworfen hat. Oben in ihren ehemaligen Wohnräumen durften wir einige Zeit in ihrem Sterbezimmer verbringen, was uns innerlich sehr bewegt hat.
Durch unsere Reise in den Spuren von Ita Wegman und Rudolf Steiner lernten wir besser verstehen, was Erzengel Michael in der heutigen Zeit von uns erwartet.
Er bringt alte und junge Seelen in allen möglichen Konstellationen zusammen (in Arbeitsverhältnissen, sozialen Kontakten oder in einer Ehe, so wie bei uns). Er beabsichtigt damit ein neues geistiges Bewusstsein zu ermöglichen. Wenn es uns gelingt, den Ursprung der äußeren, oft gegensätzlichen Eigenschaften des Anderen zu verstehen und zu erkennen, finden wir in der alten Seele einen aufrichtigen Christus-Sucher und in der jungen Seele einen wahrhaftigen Michaeldiener. Auf diese Weise können wir uns gegenseitig unterstützen, um mit der Liebe Christi und dem Mut Michaels neue Bewusstseinswege vorzubereiten.
Fußnoten
*Über Hans Stolp: Ein in Holland sehr bekannter Vortragender über das Werk Rudolf Steiners
www.hansstolp.nl
1 Siehe auch Hans Peter van Manen: Alte und Junge Seelen
2 Sergei O. Prokofieff: Rudolf Steiner, Fragment einer spirituellen Biografie
3 Rudolf Steiner, GA 132: Die Evolution vom Gesichtspunkt des Wahrhaftigen
4 Ita Wegman: An die Freunde 5 Margarete und Erich Kirchner-Bockholt: Die Menschheitsaufgabe Rudolf Steiners und Ita Wegman
Übersetzung aus dem Niederländischen: Eva Delacher
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